Am letzten Samstag fanden zeitgleich in Würzburg, Tübingen und Berlin antikapitalistische Demonstrationen unter dem Motto „lockdown capitalism“ statt, zu der wir ebenfalls aufgerufen haben. Wir veröffentlichen hier einen Bericht der Genoss:innen von Schwarzlicht Würzburg:
Am gestrigen Samstag, 23.01., demonstrierten rund 150 Menschen in der Würzburger Innenstadt unter dem Motto „Lockdown Capitalism“! Als Ableger der parallel in Berlin und Tübingen stattgefundenen Demonstration unter dem selben Motto forderten die Demonstrierenden ein solidarisches Miteinander in der Krise auf Kosten des Wirtschaftssystems, welches zum Ausmaß der Pandemie beträchtlich beiträgt. Die Pandemie ist nicht die alleinige Ursache der sozialen Probleme, doch sie bestärkt wie nie zuvor die bestehenden Trends. Am stärksten trifft die Krise nicht die Großunternehmen, welche teilweise ganz im Gegenteil sogar von ihr profitieren, sondern vor allem die Armen. Dies misst sich nicht nur an der höheren Sterberate durch Covid-19, sondern auch durch Massenentlassungen, Verarmung, dem Schließen von Tafeln, dem Pflegemangel und einem heruntergesparten und unvorbereiteten Bildungssystem, welches die Probleme auf Lehrkräfte, Kinder und Eltern abwälzt. Währenddessen wird das in schwindelerregende Höhen steigende Vermögen der Reichen nicht angefasst. Es ist klar, wer die Krise bezahlen soll: die Lohnabhängigen. Würde die Politik die Interessen jener Klasse vertreten, wäre das Fazit klar: Sie hat versagt, und zwar auf ganzer Linie. Doch da sie seit jeher für die Wirtschaft eintritt, muss gesagt werden, dass sie auf dieser Ebene gute Arbeit leistet. Um den Konsum anzukurbeln wird die Umsatzsteuer gesenkt, darüberhinaus äußern sich Eingriffe in die Wirtschaft aber meist nur in Form von Vorschlägen, Empfehlungen oder Hilfspaketen. Die Reichen werden reicher – das oberste 1% besitzt ohnehin schon rund ein Drittel des Vermögens – und zwar auf dem Rücken der Armen, welche angesichts des tödlichen Virus mitunter auch ihr Leben geben. Wenn eine einmalige Vermögensabgabe in Anbetracht dieser Umstände nicht als gerechtfertigt empfunden wird, dann wird sie es nie sein. Diesen Präzedenzfall, welcher auch auf der Demonstration von Redner:innen gefordert wurde, gilt es zu schaffen! Kritik an diesem Klassenkampf von Oben wurde im Vergangen Jahr kaum auf der Straße geäußert. Denn obwohl sie vorhanden war, wurde den von der Regierung vorgeschriebenen Kontakteinschränkungen weitestgehend zugestimmt, wodurch sich lautstarker Massenprotest verbat. Meist war es nur der Protest der antisemitischen Coronaleugner:innen, gefolgt von kleinem Gegenprotest, welcher in der Öffentlichkeit stattfand. Mit immer neuen, umfassenden Einschränkungen für das Privatleben bleibt den Menschen heute kaum mehr als der Weg zur Arbeit als Garant. Das Verständnis für diese verfügte Unfreiheit ist angesichts der Untätigkeit im Hinblick auf die Regulierung der Wirtschaft in den letzten Monaten auf ein Nichts zusammengeschrumpft. Dieses Unverständnis ist es nun, welches die Menschen trotz dem Versuch der Kontaktvermeidung auf die Straßen treibt. Der Wunsch, dem Unmut Luft zu machen war gestern sichtlich groß. Genug mit den empfindlichen Strafen, welche besonders Arme hart trifft! Genug mit den Maßnahmen fürs Privatleben, wenn die Arbeit trotz enormer Infektionsgefahr weiterhin erzwungen wird! Lasst uns nicht die vergessen, die es am härtesten trifft! Dazu gehören auch Flüchtlinge, die sich trotz der Lage nach Europa machen und teilweise in inhumanen Camps wie auf Lesbos oder der Balkan-Route festgehalten werden #LeaveNoOneBehind! Die Krise kann bezahlt werden, make the rich pay! Was nie mit Geld aufgewogen werden kann, sind die zahlreichen Menschenleben, die bereits für die „Gesundheit“ der Wirtschaft geopfert wurden. Die gestrige Demonstration ist ein wichtiges Zeichen: Die Geduld ist vorbei und gleichzeitig die Organisation der Menschen ausgereift. Um 16 Uhr trafen sich die Demonstrierenden am Bahnhofsvorplatz und marschierten in breiten Reihen durch die Kaiserstraße. Auf den Fronttransparenten forderten sie eine „sinnvolle Kapitalismuskritik statt Verschwörungsideologie“ sowie „Gesundheit vor Profitinteressen!“ Ihre Sprechchöre zeigten das ganze Spektrum der sozialen Forderungen: „Masken für alle und zwar umsonst“, „Impfstoff für alle, sonst gibt’s Krawalle“, „15 € Mindestlohn, flächendeckend – keine Diskussion“, „Eine Stunde Pflegestreik – Großes Chaos Deutschlandweit“ und „Profit mit Wohnraum blanker Hohn – nicht nur in der Krisensituation!“ Die Laufdemonstration führte einmal durch die Innenstadt und endete am Unteren Markt. Dort adressierte ein erster Redner, ein Medizinstudent, den Kapitalismus und beschrieb dessen irrationale Ziele, welche mit vorgeblich rationalen Mitteln durch die Akteure vorangetrieben wird. So seien die nötigen Präventionsmaßnahmen zum Anfang der Pandemie bereits bekannt gewesen. Doch um die Märkte nicht zu irritieren, sei praktisch keine Maßnahme früh genug ergriffen worden. Eine Rednerin machte auf das Leid der flüchtenden Menschen aufmerksam. Durch #Corona sei Hilfe durch NGOs kaum möglich, sodass die Menschen auf sich alleine gestellt sind. Aus der Perspektive der Regierungen fragte sie zynisch: „Ertrinkenden Menschen einen sicheren Hafen bieten? Viel zu gefährlich zu Coronazeiten!“ Daraufhin lud sie Horst Seehofer ein, bloß eine Nacht im Schnee in Bosnien zu verbringen. Ein dritter Redner aus dem Kontext der Klimagerechtigkeitsbewegung ging mit dem globalen Handeln der Industriestaaten ins Gericht. Eine Sammlung an Staaten, die nur 13% der Weltbevölkerung ausmachten, hätte sich nach Oxfam bereits „mehr als die Hälfte des bisher weltweit verfügbaren Impfstoffs zugesichert […]. Auch Deutschland wird hier zum peinlichen Vorbild für egoistische und arrogante Politik.“ Der Kapitalismus würde sich dabei nicht nur auf die Pandemie auswirken. Auch der Klimawandel geht auf die verschwenderische Wirtschaftsform zurück. Dieser würde in Zukunft die Verbreitung von Pandemien auch noch verstärken. Eine Rednerin von Der Funke adressierte den Klassenkampf und forderte Belegschaftskomitees in den Betrieben. In einer letzten Rede von der Antifa Würzburg hieß es: „Lockdown Capitalism heißt für uns nicht nur, dass der Kapitalismus als solcher abgeschafft werden muss. Für uns heißt es vielmehr, dass wir jetzt statt auf Profite auf Menschenleben achtgeben müssen. Und dafür brauchen wir jetzt Maßnahmen, die diese Pandemie beenden und gleichzeitig finanzielle Entlastung für alle lohnabhängigen Menschen bringen. Denn Covid an sich ist schon psychisch belastend genug. Wir sollten als Gesellschaft nicht zulassen, dass Menschen sich zusätzlich auch noch Sorgen um Geld machen müssen.“ Mit simplen Forderungen endete die Rede:
- Unbürokratische Soforthilfe für Alle,
- Vermögenssteuer,
- Sofortige Unterbringung von wohnungslosen Menschen,
- Zusätzliche Urlaubstage für alle Menschen, die Kinder betreuen müssen,
- Bereitstellung von ausreichend Hilfsangeboten für von häuslicher Gewalt betroffenen Menschen,
- Kostenlose FFP2-Masken für Alle und
- Runterfahren der nicht systemrelevanten Produktion.
Bevor die Demonstration beendet wurde, wurde auf die nächste Demonstration aufmerksam gemacht. Die Antifa Würzburg ruft auf zur Demonstration “Gegen Corona & Kapitalismus – für eine menschenwürdige Pandemiebekämpfung” am Samstag, 30.01. Der Start ist um 15:30 Uhr am Hauptbahnhof Würzburg: https://twitter.com/antifa_wue/status/1353049087344570369
Link zum Artikel: https://schwarzlicht.org/p/twitter/2021-01-24-1353436279254503424.html
Die lokale Zeitung Mainpost veröffentlichte ebenfalls einen Artikel zur Demonstration: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/demo-durch-wuerzburg-gegen-pflegenotstand-und-kapitalismus-art-10556537